Lieferdienst Velogista fordert Unterstützung der Politik
Beim Lastenrad-Lieferdienst Velogista gehen immer mehr Anfragen ein. In der Hauptstadt Berlin liefert das Unternehmen unter anderem für den Versandhändler Memo aus.
Alles begann mit Martin Seißlers Sohn. Der Geschäftsführer des Cargobike-Lieferdiensts Velogista aus Berlin kutschierte im Jahr 2010 seinen Nachwuchs in einem Fahrrad-Transportkorb für Kinder durch Berlin. Doch die Transportbox, die vor dem Rad angebracht war, diente bald nicht mehr nur als Mitfahrgelegenheit für den Sohn, sondern beförderte auch den Buggy, Windeln oder Umzugskartons. „Da kam mir der Gedanke: Warum wird das Fahrrad eigentlich nicht als Transportmittel für Güter benutzt?“, erklärt Seißler im Gespräch mit der Fachzeitschrift trans aktuell. Er entwickelte daraufhin einen Businessplan.
Doch es fehlte an den richtigen Rädern, die erforderlichen E-Bikes machen erst seit 2012 nennenswerte technologische Fortschritte. Seißler legte seinen Plan daraufhin erst einmal zwei Jahre auf Eis. Im August 2013 stellte er sich jedoch ein weiteres Mal der Herausforderung, bezog ein Büro mit Lagerfläche in Berlin-Kreuzberg und erhielt für sein Start-up Unterstützung vom sogenannten Social Impact Lab, einer Plattform für Gründer. Von Beginn an legte er vor allem auf zwei Dinge großen Wert: die Umweltverträglichkeit und die Arbeitsbedingungen. „Wir beschäftigen keine Subunternehmen und stellen alle Fahrer fest an“, erklärt der 41-Jährige.
2014 kaufte er das erste Elektro-Cargobike und startete die Testphase seines Lieferdienstes auf der letzten Meile, 2016 kamen drei weitere Räder hinzu. Mittlerweile transportieren zehn Bikes die verschiedensten Güter durch Berlin. Dabei lässt sich das Tagesprogramm in zwei Touren mit einer Länge von jeweils 15 bis 20 Kilometern unterteilen. Vormittags ist der Obst- und Gemüsehandel dran, nachmittags liefert Velogista zum Beispiel für den Öko-Versandhändler Memo aus Greußenheim bei Würzburg Büroartikel aus, versorgt Baustellen mit den verschiedensten Artikeln im Auftrag von DB Schenker oder transportiert Blumen in dem Kofferaufbau. Dabei konzentriert sich das Unternehmen auf Touren innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings.
Velogista bleibt erst einmal in Berlin
„In Berlin gibt es noch genügend Wachstumspotenzial, daher weiten wir unser Angebot erst einmal nicht auf weitere Städte aus“, erklärt Seißler. Mussten der Geschäftsführer und sein Team vor einem Jahr noch ordentlich die Werbetrommel rühren und gegen skeptische Stimmen ankämpfen, trudeln nun immer mehr Anfragen ein. „Ein Problem sind allerdings die fehlenden Lagerflächen.“ Daher müsse auch die Politik Unternehmen wie Velogista unterstützen. Doch auch ohne Schützenhilfe kann Seißler schon einen Erfolg bei der Lagerproblematik verbuchen. Im Sommer bezieht Velogista zwei neue Standorte mit Lagermöglichkeit, die Verwaltung bleibt aber in Kreuzberg. Bei einem weiteren Thema sieht er die Politik ebenfalls in der Pflicht. Um die anderen Fahrradfahrer nicht zu verärgern und für mehr Sicherheit zu sorgen, müssten die Radwege breiter werden. „Denn wenn so ein Lastenrad vor einem fährt, passt kein anderes Fahrrad vorbei.“
Grundsätzlich herrsche aber eine große Akzeptanz bei den Menschen. „Anfangs fielen unsere Räder noch auf, mittlerweile gehören sie zum Stadtbild.“ Das Problem Fahrermangel kennt Seißler nicht: „Wir haben eher zu viele Bewerbungen.“ Für den Job benötigen die Kuriere keinen Führerschein. Zudem mache der dichte Stadtverkehr in der Hauptstadt auf dem Rad mehr Spaß als im Lkw. Der Großteil der zwölf fest angestellten Fahrer arbeitet in Vollzeit bei Velogista. „Wir bekommen oft als Rückmeldung, dass sie das Gefühl haben, etwas Sinnvolles zu tun“, berichtet der Geschäftsführer.
Neu dabei ist in der Geschäftsführung Dennis Wendt
Neben den Fahrern zählen fünf weitere Mitarbeiter zum Velogista-Team, neu dabei ist in der Geschäftsführung Dennis Wendt. Ein Mechaniker kümmert sich um die Instandhaltung der Räder und hat zum Beispiel auch einen speziellen Kühlaufbau entwickelt. Sind die Akkus der Räder zu zwei Dritteln leer, tauscht er sie aus. „Ein Akku hält etwa 40 bis 50 Kilometer“, erklärt Seißler. Die Stromkosten seien trotzdem mit rund 70 Euro im Monat vergleichsweise gering.
Nur eines der vielen Argumente, die Seißler am Lastenrad-Lieferdienst überzeugen: „Drohnen oder Roboter sind sicher auch gute Ideen für die letzte Meile, aber die Lastenrad-Logistik ist jetzt schon umsetzbar.“ Und in Zeiten, in denen in vielen deutschen Städten Fahrverbote drohen, sind sofort umsetzbare Ideen gefragt. Um dem Thema noch mehr Nachdruck zu verleihen, rief Seißler mit Branchenkollegen erst kürzlich den Deutschen Radlogistikverband ins Leben. Am Internationalen Lastenrad-Symposium in Berlin, das im April stattfand, war Velogista ebenfalls beteiligt. Die Veranstaltung, die die Fachzeitschrift trans aktuell als Medienpartner unterstützt, soll im nächsten Jahr in noch größerem Rahmen stattfinden. Seißlers Idee scheint den Kinderschuhen entwachsen zu sein oder passender gesagt: der Kinder-Transportbox.
Das Unternehmen
Der Hauptsitz befindet sich in Berlin-Kreuzberg
Geschäftsführung: Martin Seißler, Dennis Wendt
17 Mitarbeiter, darunter zwölf fest angestellte Fahrer
Zehn Lastenräder gehören momentan zum Fuhrpark
Beliefert innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings
Velogista bildet auch KEP-Fachkräfte und Fahrradmonteure aus (jeweils zwei Jahre)