Gütertransport: Die Folgen von Rastatt
Die Züge rollen wieder auf der Rheintalbahn, aber es wird noch dauern, bis für den Gütertransport auf dem wichtigen Korridor von den Nordseehäfen Richtung Süden wieder Normalität einkehrt. Nach der siebenwöchigen Vollsperrung zwischen Rastatt und Baden-Baden wegen abgesackter Gleise werden jetzt allenthalben Schadensersatzforderungen laut, der weitere Ausbau der Strecke verzögert sich hier um rund zwei Jahre. Und die deutsche Politik hat das Desaster, das auch in der Chemie- und Stahlindustrie zu Verwerfungen führte, schlichtweg ignoriert.
Durch die Tunnel-Havarie bei Rastatt hatten alle Teilnehmer in der Logistikkette Mehrkosten und Umsatzausfälle, die möglicherweise für manche Unternehmen das wirtschaftliche Aus bedeuten. Jetzt geht es um Maßnahmen, die solche Ereignisse besser absichern oder gar unmöglich machen. Das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE) hat allein für die Güterbahnen Verluste in Höhe von etwa 100 Millionen Euro berechnet. Zusammen mit 27 anderen Organisationen gehört es zu den Unterzeichnern eines zweiten offenen Briefs an die deutsche und die europäische Verkehrspolitik - darin die dringende Bitte um Unterstützung und Führung.
Notfallpläne und Ausweichrouten gefordert
Die Sperrung eines kleinen Schienenabschnitts dürfe nie wieder zu dem Chaos und weitreichenden wirtschaftlichen Schaden von Rastatt führen, betonen die Frachtkunden. Das Vertrauen in die Bahn müsse schnell wieder hergestellt, die Lektionen daraus gelernt werden. Rastatt zeige, wie dringlich eine effektive internationale Koordinierung des Schienengüterverkehrs durch die nationalen Ministerien und Infrastrukturmanager sei. Gebraucht würden strukturelle Veränderungen, nötig seien als allererstes vorab erstellte Notfallpläne. Künftig müsse es klar definierte Ausweichrouten geben, die mindestens 75 Prozent des normalen Volumens aufnehmen könnten - unter Einbeziehung von Streckenprofil, Zuglänge oder Elektrifizierung.
Von der Sperre im August und Sptember war der kombinierte Verkehr mit 120 von insgesamt 200 Zügen täglich am stärksten betroffen. Experten gehen davon aus, dass teilweise nur ein Viertel der KV-Züge auf Umwegen fahren konnte. Allein bei der DB-Tochter Kombiverkehr sind mehr als 1.000 Züge ausgefallen. „Das entspricht 25.000 Lkw-Sendungen, die Umsatzeinbuße beträgt etwa 15 Millionen Euro“, sagte Sprecher Jan Weiser trans aktuell.
Die Woche nach dem Neustart am 2. Oktober wurde bei Kombiverkehr in die Berechnung miteinbezogen. „Denn so lange wird es mindestens noch dauern, bis die Rundläufe wieder funktionieren“, sagte Weiser. In den überfüllten Terminals gebe es weiterhin Annahme- und Buchungsstopps. Zum Thema Haftung will sich das Unternehmen derzeit nicht äußern. Kombiverkehr hatte bereits vor Wochen vom Bund 250 Millionen Euro Soforthilfe für Spediteure und Unternehmen der Transporkette verlangt.
Jeden Tag kleinere Rastatts - Schadensersatz allein keine Lösung
Auch der Schweizer Kombioperateur Hupac beklagt einen zweistelligen Millionenverlust. „Aber mit Schadensersatzforderungen haben wir in der Vergangenheit keine guten Erfahrungen gemacht“, sagte Sprecherin Irmtraut Tonndorf. Verkehrspolitisch sei es viel wichtiger, für solche Fälle eine grundsätzliche Lösung zu finden. „Rastatt ist ein Großereignis, aber eigentlich gibt es jeden Tag kleinere Rastatts, die die Öffentlichkeit gar nicht wahrnimmt. Die summieren sich zu ähnlich hohen Folgeschäden.“
Tonndorf verweist auf Großbritannien, wo sich der Infrastrukturbetreiber nach einem festen Schlüssel an solchen Kosten beteilige muss. So würden die Ausfälle der Bahnunternehmen zumindest teilweise gedeckt, und der Infrastrukturbetreiber setze alles daran, Unterbrüche zu vermeiden oder zumindest professionell abzuwickeln. „Rastatt war ein Tsunami für die ganze Branche“, sagt Tonndorf, „und die Folgen werden erst mittelfristig sichtbar werden.“
NEE befürchtet, dass die Bahnen bedrohlich lange allein auf den Kosten sitzen bleiben. Die Forderung lautet, dass ein Großteil der Schäden kurzfristig „im Vorgriff und durch Nutzung von Kulanzregelungen“ ersetzt wird. In einem Brief an den Vorstand der DB Netz AG wird kritisiert, dass sich das Staatsunternehmen in einem Schlichtungsverfahren mit den Baufirmen sechs Monate Zeit nehmen will, um die Unglücksursache zu erkunden. Eine „transparente Kontrolle der mittelbar Betroffenen sowie der Behörden“ gebe es dabei nicht.
EU-Kommission muss führende Rolle übernehmen
Der Schweizer Chemielogistiker Bertschi jedenfalls will bei seinen KV-Operateuren Schadensersatzforderungen geltend machen. „Wir rechnen mit einem Umsatzverlust von 50 Millionen Franken auf Jahresbasis“, sagte Unternehmenschef Hans-Jörg Bertschi trans aktuell. Er gehe davon aus, dass die Operateure diese Forderungen dann an ihre EVU weiterreichen und sie von dort an DB Netz gehen. Einen normalen Betrieb auf der Rheintalbahn erwartet Bertschi zur Mitte des Monats. Bis dahin würden einige Backup- Kapazitäten wie die Road Bridge zwischen Ludwigshafen und Basel noch teilweise aufrechterhalten.
Für die Zukunft stellt sich Bertschi auf dem Korridor ein internationales Baustellen- und Krisenmanagement vor und wünscht sich, dass deutschsprachige Lokführer auch im Elsass fahren dürfen. Da die Schweiz mit dem Gotthard-Tunnel und der umweltpolitischen Dimension des Alpentransits am stärksten engagiert sei, sollte sie auch das operative Management auf dem gesamten Korridor Rotterdam-Genua leiten, meint Bertschi.
Die Vereinigung für den kombinierten Verkehr Schiene-Straße (UIRR) dringt auf eine führende Rolle der EU-Kommission. Es reiche nicht aus, die einzelnen Mitgliedstaaten in die Verantwortung zu nehmen, sagte ihr Chef Ralf-Charley Schultze. „Brüssel muss den Rahmen vorgeben und koordinierend eingreifen, das Thema muss auch von Verkehrskommissarin Violeta Bulc so ernst genommen werden, dass so etwas wie Rastatt nie wieder passieren kann.“
Die UIRR versucht derzeit, über ihre Mitglieder den tatsächlichen Schaden zu ermitteln, denn es gebe Verkehre, die gar nicht gefahren worden seien, weil Kunden Kurzarbeit verhängt oder die Produktion eingestellt und abgewartet hätten. „Ohne die Schiene ist auch die Straße aufgeschmissen“, meint Schultze. Dort gebe es kaum freie Kapazitäten, der Fahrermangel sei groß und die Konjunktur ziehe weiter an.
Die Havarie
Die Rheintalbahn war seit dem 12. August komplett gesperrt, weil sich die Gleise zwischen Rastatt und Baden-Baden aufgrund von Tunnelbohrarbeiten abgesenkt hatten. Jetzt läuft der Verkehr über dem mit Beton verfüllten Tunnelabschnitt auf einer 100 Meter langen und ein Meter dicken Stahlbetonplatte. Die Schadensursache ist bislang ungeklärt, auch zu den Kosten machte die Deutsche Bahn noch keine Angaben.
Nach Rastatt: Acht Maßnahmen
1. Risikomanagement - laufend von den Beteiligten der Logistikkette aktualisierte Notfallpläne; Ausweichrouten, die mindestens 75 Prozent des normalen Volumens aufnehmen können
2. Krisenmanagement - sofort grenzübergreifende Koordinierungsteams bei Unterbrechungen; ein Notfallfonds sollte sofortige Finanzierungen sicherstellen
3. Abbau nationaler Hindernisse - Stärkung der Interoperabilität auf dem europäischen Schiennetz, z.B. eine einzige Betriebssprache, kurzfristiger Einsatz des Zugsicherungssystem ETCS
4. international koordiniertes Baustellenmanagement
5. grenzüberschreitendes Betriebsmanagement
6. Anreize für Infrastrukturmanager - bei Unterbrechnungen Kompensationen für die Bahnen
7. Internetplattform für den Bahnsektor - zur Aufarbeitung des Rastatt-Desasters unter Leitung der EU-Kommission
8. Soforthilfen für den Sektor nach Rastatt