Oberleitungs-Lkw: Feldversuch auf A1 gestartet
Der Feldversuch mit Oberleitungs-Lkw in Schleswig-Holstein hat begonnen. Am Dienstag nahm die Spedition Bode ihren Scania-Lkw entgegen.
Mittig bleiben, heißt die Devise. Detlef Gramkow muss den Scania R 450 mit dem Krone-Kühlauflieger stramm auf Spur halten. Andernfalls stellt der Hybrid-Oberleitungs-Lkw keinen Kontakt zum Fahrdraht her, sprich: Der Stromabnehmer fährt nicht aus. „Am Anfang ist es sehr anspruchsvoll, sich innerhalb des vorgesehenen festen Korridors zu bewegen“, berichtet der Fahrer der Spedition Bode aus Reinfeld. Doch Übung macht den Meister: Je öfter der 52-Jährige die Strecke fährt, desto sicherer ist er und desto früher leuchtet das betreffende Lkw-Symbol im Display Grün. In dem Fall muss Gramkow die Kopplung mit der Oberleitung nur noch mit einem Knopfdruck bestätigen und der Stromabnehmer fährt aus. Die Folge ist ein emissonsfreier Fahrbetrieb.
Auf drei Strecken sollen jeweils fünf Lkw pendeln
Seit Dienstag ist Gramkow mit dem roten Oberleitungs-Hybrid-Lkw (OH-Lkw) auf der A1 unterwegs. Am Vormittag hatte Christoph Rell, der die OH-Lkw von Scania in Deutschland betreut, den Lkw mit dem markanten Geweih der Spedition in Reinfeld auf dem Hof gefahren. Damit war der Startschuss für den Feldversuch mit OH-Lkw auf einem fünf Kilometer langen Teilstück der A1 zwischen Reinfeld und Lübeck erfolgt. Bereits im Frühjahr startete ein Feldversuch mit OH-Lkw auf der A5 in Hessen, ein dritter Feldversuch ist für nächstes Jahr auf der B462 im Murgtal in Baden-Württemberg geplant. Auf den drei Strecken sollen jeweils fünf Lkw pendeln, Lieferant aller Fahrzeuge ist der schwedische Lkw-Hersteller Scania. 15 OH-Lkw gehen an Speditionen und Werkverkehre, darüber hinaus noch zwei an Siemens und zwei an VW für eigene Erprobungen. Was die Produktion der Lkw kostet, verrät Scania nicht; das Bundesumweltministerium fördert die Anschaffung der Lkw aus dem Programm „Erneuerbar Mobil“.
In Schleswig-Holstein gibt es nur einen Praxispartner: die Spedition Bode, an die im Lauf der nächsten Monate weitere vier Lkw ausgeliefert werden. Der Vorteil des Einsatzes in ihrer Flotte ist die hohe Frequenz, mit der ihre Fahrzeuge auf der A1 unterwegs sind. „Je nach Verkehrslage schaffen wir vier bis fünf Rundläufe“, berichtet Geschäftsführer Kai Bode gegenüber der Fachzeitschrift trans aktuell. Davon profitiert auch für die wissenschaftliche Begleitforschung, die sehr schnell viele belastbare Fahrzeugdaten zur Auswertung erhält. An Bord der Auflieger sind Lebensmittel des Discounters Lidl, die vom Bode-Logistikzentrum zum Hafen oder Güterbahnhof in Lübeck gelangen. Von dort aus geht es per Fähre oder Zug weiter zu den Verkaufsstellen von Lidl in Skandinavien. „Wir sind sehr gespannt auf den Test“, sagt Unternehmer Bode. Er geht davon aus, dass sich seine Shuttle-Verkehre gut für den OH-Lkw eignen. Die Besonderheit sei zum einen die Anbindung an den Kombinierten Verkehr. Dadurch laufen nicht nur die Vor- und Nachläufe, sondern im Fall der Schiene (und einer Elektro-Traktion) die gesamte Supply Chain emissionsfrei ab. Kommt das Schiff im Hauptlauf zum Einsatz, hängen die CO2-Effekte vom jeweiligen Antrieb beziehungsweise Treibstoff ab.
Spediteur Bode: Gerechnet wird am Ende
Eine weitere Besonderheit ist für Spediteur Kai Bode, dass auch der Großkunde Lidl alle Aktivitäten in Richtung Nachhaltigkeit unterstütze – und daher auch dessen Logo auf der Zugmaschine und einem Trailer mit Sonderlackierung prangt. Andererseits weist aber auch Logistikunternehmer Bode darauf hin, dass es sich um einen Test handelt, der dazu diene, Erkenntnisse zu sammeln. „Gerechnet wird am Ende.“ Erkenntnisse sammeln möchten auch die Verantwortlichen des Fahrzeugbauers Scania. Fest steht für die aus der Deutschland-Zentrale in Koblenz angereisten Vertreter auch, dass der Oberleitungs-Lkw nur eine mögliche Antriebsart der Zukunft ist. „Es wird keinen Königsweg, sondern unterschiedliche Technologien geben“, betont Stefan Ziegert, Produktmanager für alternative Transportlösungen bei Scania Deutschland. Es gelte individuell zu prüfen, welche Technologie zu welchem Kunden beziehungsweise seinen Verkehren und Einsatzzwecken passe.
Scania sei hier breit aufgestellt – neben dem Klassiker Diesel mit Gasantrieben (CNG und LNG) sowie dem Oberleitungs-Lkw, der auf dem Elektro-Hybriden basiere. Passen die Voraussetzungen für den OH-Lkw wie im Fall der Spedition Bode, kann das Fahrzeug laut Ziegert sehr klar seine Vorteile ausspielen. Der Scania-Mann nennt einen Wirkungsgrad von 77 Prozent gegenüber 62 Prozent im Fall eines batterie-elektrisch angetriebenen Lkw. Selbst fünf Kilometer Oberleitungs-Strecke reichten, um nicht nur lokal emissionsfrei zu fahren, sondern um die Batterie wieder ein Stück weit aufzuladen. Das bestätigt die Mitfahrt an Bord des Bode-Lkw. Fahrer Gramkow startet mit einer Füllmenge von 31 Prozent, am Ende der fünf Kilometer langen Oberleitungs-Strecke sind es bereits 40 Prozent.
Druck auf Spediteure wächst
Die ersten Fahrten mit dem OH-Lkw in Schleswig-Holstein stimmen auch Christian Hottgenroth zuversichtlich, Direktor für den Lkw-Verkauf bei Scania Deutschland. „Wir mögen einerseits als Branche Teil des Problems sein, sind als Fahrzeugbauer mit unseren Angeboten aber auch Teil der Lösung“, ergänzt er. Eine wichtige Aufgabe sieht er darin, sein Verkaufsteam für den Umgang mit alternativen Antrieben zu schulen, um in der Folge auch den Kunden die Angst vor den neuen Technologien zu nehmen. „Das ist teilweise ein langer Prozess“, sagt er. Andererseits werde der Druck auf Spediteure immer größer, nach klimafreundlicheren Transportlösungen zu suchen – sei es von Kunden, Kommunen oder der Öffentlichkeit. Und Fakt ist auch für Stefan Ziegert, dessen Tätigkeit ja darin besteht, den Weg für alternative Antriebe zu ebnen, dass der Dieselmotor der Branche noch viele Jahre lang erhalten bleiben wird. „Doch auch ihn können wir mit alternativen Kraftstoffen betreiben und dadurch positive Umwelteffekte erzielen.“
Fahrer Detlef Gramkow wird künftig ebenfalls zweigleisig fahren. Steuert er nicht den Lkw mit dem markanten Pantografen, fährt er einen Volvo FH mit Dieselantrieb. Doch er zeigt sich offen für die neue Technologie, ist gespannt auf die Erkenntnisse des Feldversuchs und wird in den nächsten Monaten das Spurhalten sicherlich weiter perfektionieren.