Ladungsdiebstahl: Projektgruppe Cargo startet

28. Juni 2018
Die Polizei jagt Ladungsdiebe und stärkt die Kooperation mit den polnischen Kollegen. Am 1. Juli startet die Projektgruppe Cargo unter der Leitung des LKA Sachsen-Anhalt.
Bandenmäßig organisierten Ladungsdieben will die Polizei mit vereinten Kräften das Handwerk legen. Dafür haben sich die am stärksten betroffenen Bundesländer unter der Leitung des Landeskriminalamtes Sachsen-Anhalt zur Projektgruppe Cargo zusammengeschlossen, die ab 1. Juli durchstarten soll.
Die Polizei will die Kriminellen aber auch über Staatsgrenzen hinweg auffliegen lassen. Deshalb wird bereits mit polnischen Kräften kooperiert; von dort kommen die meisten Täter. Mit Unterstützung von Europol soll Cargo verstärkt international aufgestellt werden.
Allein in Deutschland werden jährlich Waren im Wert von 1,3 Milliarden Euro gestohlen. Nach Berechnung von Wirtschaftsverbänden entstehen weitere Schäden von 900 Millionen Euro durch Lieferverzögerungen, Reparaturkosten oder Produktionsausfälle.
Bislang arbeiten16 Bundesländer mit 16 Landespolizeien aber oft nebeneinander her. Ladungsdiebstahl taucht in Deutschland als solcher in keiner Kriminalitätsstatistik auf. „Die Kollegen, die zu Raststätten oder Parkplätzen gerufen werden, stellen lediglich einen Diebstahl fest“, sagt Guido Sünnemann. Er ist Abteilungsleiter im Landeskriminalamt (LKA) zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und leitet das Projekt von Magdeburg aus.
Enorm hohe Dunkelziffer
Bundesweit lässt sich das Delikt also nicht wiederauffinden. „Und wenn man die Zahlen nicht hat, erkennt man das Muster nicht“, lautet die Schlussfolgerung. Häufig würden zudem 40 oder 50 Lkw aufgeschlitzt, aber nur einer ausgeräumt. „Bei denen, die nicht geleert werden, handelt es sich um eine versuchte Straftat, und die Lkw-Fahrer sind großenteils angehalten, weiterzufahren und dies nicht der Polizei zu melden“, erläutert der LKA-Mann. Hier gebe es also eine enorm hohe Dunkelziffer, die es zusätzlich erschwere, Brennpunkte zu erkennen und ein Konzept zur Bekämpfung zu entwickeln.
Werden die Kriminellen tatsächlich einmal durch Zufall auf frischer Tat ertappt, handelt es sich meist um einen versuchten Diebstahl, der nicht so schwer bestraft wird wie die vollendete Tat. Die Schlitzer sind dann am nächsten Tag wieder auf freiem Fuß. Sachsen-Anhalt ist auf den Autobahnen 2, 9 und 14 von dem Problem besonders betroffen. Aber trotz der schwierigen Datenlage haben es die Beamten schon weit gebracht: „Nach unserer Erkenntnis handelt es sich bundesweit immer um dieselben Gruppen“, sagt Sünnemann. „90 Prozent der Täter bei uns kommen aus Polen.“
Innovative Kriminelle
Pro Tat flössen 1.000 Euro netto – viel Geld bei einem polnischen Durchschnittsverdienst von etwa 950 Euro. Dabei gehe es auch um Kfz-Diebstähle oder Kraftstoffklau: „Die Planenschlitzer sind nicht nur Planenschlitzer.“ Die Kriminellen seien ferner sehr innovativ. So werden längst nicht mehr nur der Polizeifunk abgehört oder GPS-Jammer eingesetzt. Berichtet wird auch von einem Fall, bei dem die für einen Diebstahl zerstörte ISO-Plombe eines Fahrzeugs auf dem Parkplatz mit einem 3-D-Drucker nachgebildet wurde. Der Lkw kam, von außen betrachtet unbeschadet, völlig leer am Zielort an.
Die Täter suchen sich die Plätze, an denen sie zuschlagen, offenbar sehr gezielt und kennen die Schichten und die Personaldecke der Polizei. Einkalkuliert wird auch, dass sie nicht einfach Ländergrenzen überschreitend agieren kann. In Polen angekommen, wird das teils bedarfsorientiert gestohlene Diebesgut sofort weitergegeben oder über Internet-Auktionshäuser verkauft. Dabei ist es egal, ob es sich um Reifen, Maschinenteile, Elektronik oder Lebensmittel handelt.
Von Sachsen-Anhalt aus gibt es gute Kontakte zu den Kripo-Kollegen im Nachbarland, um gezielt auch operativ zu ermitteln. Übersetzer und besonders deutsche Beamte mit polnischen Hintergrund erleichtern die Zusammenarbeit. Bis vor kurzem hatte das Thema in Polen aber – genau wie in Deutschland – keine Priorität.
Engere Zusammenarbeit zwischen privatem Sektor und der Polizei gewünscht
Die Industrie ihrerseits wünscht sich eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen privatem Sektor und der Polizei, um ihre hohen Verluste in den Griff zu bekommen. „Wir stellen dafür gern Daten zur Verfügung“, sagt Thorsten Neumann, Vorsitzender der Sicherheitsorganisation Tapa, in der viele Unternehmen organisiert sind. Bislang gibt es aber immer noch Mitglieder, auch große aus Schlüsselbranchen, die eine negative Presse befürchten und keine Anzeigen erstatten.
Mit dem Projekt Cargo sollen jetzt unter der Überschrift „Organisierte Kriminalität“ Daten zentral erfasst, Kommunikationswege verbessert und ein Lagebild zunächst für Deutschland erstellt werden. Neben Sachsen-Anhalt sind das Bundeskriminalamt und die Polizeibehörden von Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen beteiligt, auch Thüringen will dabei sein. „Letztlich wollen wir die Strukturen der organisierten Kriminalität in Polen angreifen“, erklärt Sünnemann. Europol soll dafür Mittel aus einem Fonds zur Zerstörung krimineller Netzwerke zur Verfügung stellen, Dänemark, Frankreich und Schweden wollen sich auch beteiligen.
Teure Uhren gestohlen
• Ladungsdiebstahl ist für die Industrie, aber auch für Versandunternehmen ein riesiger Verlustfaktor. Häufig wird er unter den Tisch gekehrt, weil ein Imageverlust befürchtet wird. Allein im April wurden bei 122 Zwischenfällen in der Region Emea (Europa, Naher Osten, Afrika) Waren im Wert von 6,7 Millionen Euro gestohlen, berichtet die Organisation Tapa. Der größte gemeldete Einzelverlust war eine Ladung Designer-Uhren im Wert von 1,14 Millionen Euro, die in Großbritannien gestohlen wurden. Ganz vorn beim Diebesgut lagen Lebensmittel und Getränke.
• Problematisch sei, dass es nicht genügend Parkplätze gebe, sagt Tapa-Vorsitzender Thorsten Neumann. Sicherheitsparkplätze seien unnötig, weil ohnehin zu teuer für die Speditionen. Würden die Fahrer im Rahmen neuer EU-Regelungen zum Übernachten ins Hotel geschickt, werde das Diebstahlrisiko nochmals rasant ansteigen.