Fraunhofer-Verbund Materials: Wenn Werkstoffe sprechen lernen

27. Apr. 2016
Das Fraunhofer-Konzept Materials Data Space lehrt Werkstoffe das Sprechen. Von der Materialdaten-Vernetzung erhoffen sich die Forscher kürzere Entwicklungszeiten und mehr Effizienz bei Produktion, Materialeinsatz sowie Recycling.
Neue Werkstoffe spielen eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung innovativer Produkte und Fahrzeuge. Bei der engen Verzahnung der Produktion mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik wird ihre Bedeutung nochmals größer werden – Schlagwort Industrie 4.0.
Das angestrebte Ziel des Konzepts: Maßgeschneiderte Teile und Produkte nach individuellen Vorgaben zu niedrigen Kosten und mit hoher Qualität. Um diesem Ideal ein Stück näher zu kommen hat ein Verbund aus 15 materialwissenschaftlichen Fraunhofer-Instituten Data Space entwickelt.
Zweck dieses Konzepts: Alle relevanten Informationen zu Werkstoffen und Bauteilen stehen digitalisiert auf einer unternehmensübergreifenden Plattform zur Verfügung. Prof. Dr. Elser, Vorsitzender des Fraunhofer-Verbunds: „Am Ende der Entwicklung könnte ein virtueller Raum stehen, in dem sich Werkstücke und Produkte autonom bewegen, das heißt in Wechselwirkung mit den Herstellungs- und Bearbeitungsmaschinen stehen und ihren eigenen Gestehungsprozess steuern.“
Daten zu einem Werkstoff oder Bauteil, so das Konzept, stehen im Materials Data Space durchgängig über den gesamten Lebenszyklus zur Verfügung, vom Materialentwickler über den Werkstoff-, Halbzeug- und Bauteilhersteller bis zu Endnutzer und strategischem Recycling. An jedem Schritt des Prozesses werden in Echtzeit die dynamischen Materialeigenschaften erfasst und in die Plattform eingespeist.
Eine Anwendung, die den Fraunhofer-Mitarbeitern vorschwebt ist, dass sich durch die Vernetzung selbst organisierende, unternehmensübergreifende Wertschöpfungsnetzwerke etablieren können, die sich nach unterschiedlichen Kriterien wie Kosten, Verfügbarkeit und Ressourcenverbrauch optimieren lassen. Basieren soll das Ganze auf Datendiensten, die derzeit im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts entwickelt werden.
Auf diese Weise sollen Werkstoffe oder Teile jederzeit Auskunft über ihre Eigenschaften geben, beispielsweise um den Materialverbrauch zu senken, die Entwicklung neuer Werkstoffe zu beschleunigen, die Herstellung effektiver zu gestalten oder Lebensdauer und Zuverlässigkeit zu steigern. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit könnte sein, zu erfahren, bei welchen Produkten sich Recycling lohnt.
Prof. Dr. Ralf Wehrspohn, Koordinator des Projekts veranschaulicht die Idee des Materials Data Space: “Die Materialien und Werkstoffe sagen uns beispielsweise: Ich bin noch fünf Jahre lang voll belastbar, erst dann treten Ermüdungserscheinungen auf.“ Zentrale Voraussetzung dafür, Werkstoffe Industrie 4.0-fähig zu machen, sei die Kenntnis ihrer Mikrostruktur. Den Materials Data Space verstehen die Forscher als Baukasten, aus dem sich für Material- oder Werkstoffinnovationen neue Module entnehmen oder neu verknüpfen lassen.
Gleichzeitig soll Materials Data Space quasi zum Gedächtnis des Werkstoffs werden. Weiter nimmt er auch Infos von Werkstoffen und Bauteilen mit sensorischen Eigenschaften auf. Sie können laut den Forschern ihren aktuellen Zustand – etwa ihren Abnutzungszustand – selbst erfassen. Diese Daten sollen sie dann an Herstellungs-, Bearbeitungs- und Montagemaschinen weiter geben, die dann entsprechend darauf reagieren. Das Ziel sind lernende Fertigungsverfahren, in denen die Prozesse optimal auf die Eigenschaften der eingesetzten Materialien zugeschnitten sind.
Viele deutsche Unternehmen haben laut dem Fraunhofer-Verbund bereits Interesse an sogenannten Use-Cases zum Aufbau und zur Nutzung des Materials Data Space bekundet. Zunächst sollen drei Pilotprojekte im Bereich der Automobilindustrie umgesetzt werden. Konkret gehe es dort um Metalle, Faserverbundwerkstoffe, Funktionsmaterialien und das Recycling dieser Werkstoffe.