Ford Otosan will Europa erobern
Der türkisch-amerikanische Fahrzeugbauer Ford Otosan tritt mit seinen neuen Euro-6-Fahrzeugen in Europa an.
Der futuristisch anmutende, auf den eingängigen Namen "Cargo" getaufte Lkw aus dem Hause Ford Otosan mag auf den ersten Blick skurril wirken – doch die aktuelle Europa-Offensive seines Herstellers sollte man deswegen noch lange nicht belächeln. Mit runderneuerten Fahrzeugen und einem modernen Euro-6-Antriebsstrang will der türkisch-amerikanische Hersteller einen sicheren Standfuß auf dem europäischen Lkw-Markt setzen. Als erster Vorstoß gehen die Ford-Manager die Balkanstaaten an. In der zweiten Phase sollen Polen, Tschechien und die Slowakei beackert werden. Was darauf folgt? Man darf gespannt sein! Wobei die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Eintritt westwärts der osteuropäischen Märkte als durchaus optimistisch einzuschätzen wären.
Am Topmodell Ford Cargo 1848 T E6 haben 750 Istanbuler Konstrukteure entwickelt, um die Herausforderung Europa erfolgreich annehmen zu können. Früchte der Bemühungen sind ein topmoderner Antriebsstrang, der eine durchaus erfolgsversprechende Liaison mit einem grundsoliden Fahrzeugkonzept eingeht.
Smarte Steuerung optimiert Wirtschaftlichkeit
Dabei kann der von Ford von Grund auf neu entwickelte Ecotorq-Sechszylinder die meisten Zähler auf das Habenkonto einzahlen. 12,6 Liter Hubraum verteilt auf sechs in Reihe angeordnete Brennräume,variableTurbogeometrie,Common-Rail-Hochdruckeinspritzung und oben liegende Nockenwellen mit Vierventiltechnik kombiniert mit einer EGR/SCR-Abgasnachbehandlung gehören zum Repertoire des neuen Motors. Für Euro 6 stehen zwei Leistungseinstellungen mit 420 PS respektive 2.150 Newtonmeter und 480 PS sowie 2.500 Newtonmeter an maximalem Drehmoment parat. Die smarte Steuerung von Lüfter, Lichtmaschine und Luftpresser unterstützt das Triebwerk bei der Optimierung der Wirtschaftlichkeit.
Das alles klingt nicht nur gut, sondern macht beim ersten Kontakt mit den Test-Trucks auch am Lenkrad durchaus Laune. Die zwölf Gänge im ZF-Traxon-Getriebe werden automatisiert sortiert, der Griff zum klassischen Schaltknüppel fällt im türkischen Topmodell von Ford flach. Was der Ecotorq-Sechszylinder im schwersten Einsatz kann, konnte er auf den ebenen Schnellstraßen rund um Bukarest freilich noch nicht unter Beweis stellen. So viel aber steht fest: Die Schaltstrategie wurde erfolgreich mit dem grundharmonischen Charakter des Euro-6-Triebwerks in Einklang gebracht, sodass die automatisierte Gangwahl in nahezu allen fahrdynamischen Situationen mit dem Fahrerwunsch einhergeht. Neben der sämigen Abgabe des Drehmomentbestwerts ab 1.000 Touren punktet der türkische Ford-Großmotor mit ausgesprochen geringem Fahrgeräusch und einem langmütig-verzeihenden Charakter, was gelegentliche Ausflüge in den Drehzahlkeller angeht.
Gutes Federungsverhalten des Cargo
So lässt sich die Fahrt auf den rumänischen Schnellstraßen, dem künftigen neuen Revier für den Ford Cargo, theoretisch gemächlich angehen. Aus dem kompakten Fahrerhaus blickt man durch eine niedrige Frontscheibe und Seitenfenster mit eingesetzter Hubscheibe zufriedenstellend auf das recht bunte Verkehrsgeschehen. Dort gesellen sich Pferdefuhrwerke zum hochmotorisierten Straßenverkehr, kreuzen todessehnsüchtige Passanten die vierspurige Bahn im Ausfallschritt und warten knietiefe Wasserpfützen im XXL-Format auf veritable Kapitäne der Schnellstraße. Der serienmäßige Notbremsassistent hat hier seine echte Berechtigung, der Spurführungsassistent hilft beim Halten des Fahrkurses durch die Vielfalt des östlichen Straßenverkehrs. Ihren Beitrag dazu leistet die Lenkanlage des Ford, die den 40-Tonner zwar nicht mit messerscharfer Präzision, aber gut gedämpft und stoßfrei leitet.
Auch in puncto Federungsverhalten kann man dem großen Türken mit dem modernen Dieselherz nichts ankreiden. Die Blatt/Luftfederung führt den Cargo sauber auf Kurs. Eine Vierpunktluftfederung dämpft die Bewegungen der Kabine, die in ihrer Rohbauversion immer noch auf dem vor 35 Jahren debütierten Ford Cargo basiert. Das 2,3 Meter breite Fahrerhaus qualifiziert sich mit dem mächtigen Motortunnel trotz aufgesetzter GFK-Hochdachkappe allerdings nicht mehr für den internationalen Fernverkehr. Auch wenn der Fahrerplatz mit weit verstellbarem Sitz und elektrisch verstellbarer Lenksäule genug Lebensraum bietet, bleibt das Angebot an Staufächern und Ablagen knapp. Eine Nacht in der kleinen Hütte mag man sich kaum vorstellen. Die Hypothek des angejahrten Fahrerhauskonzeptes gleichen die fast durchgängig qualitativ guten Materialien und eine saubere Verarbeitung zumindest teilweise aus.
Fahrerkabine ist zu klein für mehr als tageslange Touren
Wenn man von dem aus dem Transportermodell Transit übernommenen und folglich zu kleinen Anzeigendisplay absieht, findet man am Arbeitsplatz des Cargo das vor, was man sich von einem aktuellen Lkw erwartet. Kurios: Der Ford dürfte einer der letzten Schwer-Lkw sein, dessen Lenkrad unbelastet von Tasten wirklich noch ein nacktes Kunststoff-Volant darstellt. Das Radio aktiviert man nach alter Väter Sitte am Gerät, die Bedienung des Tempomaten erfolgt am Lenkstockhebel, mit dem auch die Kombination Motorbremse/Retarder gesteuert wird. Über fünf Stufen lässt sich die Bremsleistung der Motorbremse mit 340 kW und des optionalen ZF-Intarders mit maximal 600 kW Verzögerungskraft einsteuern. Zusammen stehen maximal knapp 1000 kW verschleissfreie Bremsenergie zur Verfügung – sieben mal mehr als beim alten Modell. Ein Brems-Blending-Management schont die Beläge der Scheibenbremsen durch Vorschalten von Motorbremse und Retarder. Mit 120.000 Kilometer Regelserviceintervallen liegt der große Ford auf Klassenniveau. Wohin das Auge des Cargo-Gastes auch schweift, die Technik präsentiert sich auf dem Stand der Zeit.
Wäre da nur nicht die Enge der Kabine, die den schweren Türken-Truck aus deutscher Sicht zum großen Verteiler-Lkw mit tageslangen Touren limitiert. Für die momentan beackerten 29 Märkte im Nahen Osten, Afrika, Russland und den sieben anvisierten osteuropäischen Staaten mag der Verzicht auf den Lebensraum noch angehen, bei uns kann die schmale Kabine dagegen ausschließlich auf dem Cargo-Baufahrzeug richtig überzeugen, das schon im letzten Jahr auf dem Markt lanciert wurde. Die Ford-Strategen versprechen für kommendes Jahr allerdings ein bedeutsames Update des aktuellen Cargo. Gerüchteweise soll es sich dabei um nicht weniger als eine breite Hochkabine handeln, mit dem der Ford an die legendenumwobene Karriere seines Ur-Ahnen Transcontinental anschließen könnte. Spätestens damit dürfte der amerikanisch-türkische Underdog, den so viele zurzeit nur müde belächeln, dann auch wieder in den westeuropäischen Märkten eine echte Chance haben.