Brexit: Zeit für Handelsabkommen zu knapp
Bei einer Gesprächsrunde des Bundesverbands Spedition und Logistik (DSLV) zeigten sich Spezialisten besorgt über den Brexit.
Seit Februar ist das Vereinigte Königreich nicht mehr Mitglied der EU. Zwar behält Großbritannien bis Ende des Jahres seinen Zugang zum Binnenmarkt und bleibt so Teil der Zollunion, doch die kommenden Monate sind von verschiedenen Herausforderungen geprägt. So gilt es, innerhalb dieser Zeit eine Jahrzehnte alte Handels- und Sicherheitsgemeinschaft neu zu organisieren – auch im Kleinen durch die Unternehmen.
Allein Deutschland exportiert jährlich Waren im Wert von rund 83 Milliarden Euro in das Vereinigte Königreich. Nach Prognosen des Instituts für Weltwirtschaft werden europäische Exporte in das Vereinigte Königreich ohne ein Freihandelsabkommen durch Zölle mit 4,9 Milliarden Euro jährlich belastet. Bei einem Parlamentarischen Frühstück des DSLV zum Thema „After Brexit – Herausforderungen des zukünftigen Handels zwischen EU und UK“ haben sich mehrere Experten und Kenner zu den künftigen Auswirkungen geäußert. Gemeinsamer Tenor: Durch den großen Umfang sind die Verhandlungen schwierig, die Zeitpläne für die Erarbeitung eines Freihandelsabkommens mehr als ambitioniert. Vor allem für die Logistik-Branche ist diese fehlende Planungssicherheit gefährlich. Diese kann sich nur schwer gezielt auf die Veränderungen bis zum Ende des Jahres einstellen.
Handelsabkommen nicht um jeden Preis
Nick Alexander, der stellvertretende Botschaftsrat für die EU in der Britischen Botschaft, betonte, dass das Vereinigte Königreich einen möglichst fairen Wettbewerb unter Freunden anstrebe. Zudem legt er Wert darauf, dass UK-Standards teils oberhalb des EU-Niveaus liegen und der Brexit keine Gefahr für das EU-Level darstelle. Für ihn habe sich die britische Regierung angesichts der soliden Mehrheit im Parlament damit abgefunden, dass es für den grenzüberschreitenden Warenverkehr zu Zollkontrollen mit möglichen Friktionen kommen werde. Die Zollunion sei für das Vereinigte Königreich zudem Geschichte.
Dr. Sven Mossler, Leiter der Arbeitseinheit Grundsatzfragen und Koordinierung Brexit im Auswärtigen Amt, und Thomas Hacker, Mitglied der FDP-Bundestagsfraktion und Berichterstatter für den Brexit sowie Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der EU, äußerten sich zur deutschen Perspektive. Laut ihnen streben Bundestag und Bundesregierung zwar ein Handelsabkommen an, aber nicht um jeden Preis. Eine Öffnung des Binnenmarkts sei nur dann möglich, wenn London auch künftig bei Umwelt- und Arbeitsstandards und im Beihilfenrecht nicht hinter EU-Standards zurückgehe. Erleichterte Bedingungen - also keinerlei Zölle und Quoten - seien nur bei fairen Bedingungen ohne Dumping möglich.
Drohkulisse No-Deal-Brexit
Die Experten waren sich einig, dass der sogenannte No-Deal-Brexit immer noch eine ernsthafte Gefahr darstellt. Es handle sich um die schwierigsten und kompliziertesten Verhandlungen in der Geschichte der EU. Das Vereinigte Königreich auf der einen Seite und Deutschland sowie die EU auf der anderen Seite würden nicht jeden Kompromiss mittragen können. Mit dem Austrittsvertrag und der Back-Stop-Lösung (keine harte Grenze auf der irischen Insel) habe man allerdings bereits Ansätze gefunden, die Schlimmeres verhindern können.