Unfallforscher: Automatisiertes Fahren ist nicht verkehrssicher
Die derzeit in Fahrzeugen eingesetzten automatisierten Systeme sind nach Einschätzung von Unfallforscher Siegfried Brockmann nicht verkehrssicher. „Wer lange automatisiert fährt kann gar nicht anders, als entweder einzuschlafen oder sich anderweitig zu beschäftigen“, betont der Experte, der die Unfallforschung der Versicherer leitet. Eine gemeinsame Studie mit der TU Braunschweig habe aber gezeigt, dass ein Fahrer, der aufgefordert wird, das Steuer wieder zu übernehmen, mindestens zwölf Sekunden brauche, ehe er wieder die volle Kontrolle über die Situation erlange.
Automatisierte Systeme, die über längere Zeit die Steuerung des Fahrzeugs übernähmen, vermittelten dem Fahrer das Gefühl, er könnte sich völlig vom Verkehrsgeschehen abwenden. „Dabei sind die Systeme noch gar nicht in der Lage, sämtliche Verkehrssituationen zu beherrschen, und versagen möglicherweise, wenn Fahrbahnmarkierungen fehlen“, warnte er. Brockmann befürchtet, dass die bislang noch nicht festgelegten Vorwarnzeiten für den Fahrer von der UN-Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) in Genf auf vier Sekunden festgelegt werden. Damit fehlten bis zur sicheren Übernahme durch den Fahrer acht Sekunden. „Das sind acht Sekunden Geisterfahrt“, hebt er hervor.
Grund für die zu knappen vier Sekunden sei, dass die Fahrzeugsensoren heute maximal 150 Meter sicher überschauen könnten, vor allem auch nach hinten. „Das ist in etwa die Zeit, die bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h auf der Autobahn – und nur dort kommen teilautomatisierte Fahrfunktionen zunächst zum Einsatz – für die Übernahme der Kontrolle verbleibt.“ Für eine Vorwarnzeit von zwölf Sekunden müssten die Sensoren eine Strecke von etwa 450 Metern sicher erkennen können, was derzeit technisch nicht möglich sei.
Mit einer verbesserten Sensorik, künstlicher Intelligenz und der stärkeren Vernetzung von Fahrzeugen könne es gelingen, die Vorwarnzeit auf zwölf Sekunden zu verlängern, sagt der Unfallforscher. „Dann hätte ich auch keine Bedenken mehr. Aber dort sind wir vielleicht in frühestens fünf Jahren“, schätzt er ein. Brockmann fordert, dass die Technik flächendeckend erst dann auf die Straße kommt, wenn sie sicher ist. Das gelte für andere Fahrzeugkomponenten wie Bremsen schließlich auch, die erst nach bestandenem Härtetest zum Einsatz kämen. „Solange automatisierte Systeme nicht sicher sind, sollten sie nur von Profis gesteuert werden. Man kann schließlich nicht alle Menschen zu Testfahrern machen“, unterstreicht er.
Mit vollkommen autonomen Fahrsystemen rechnet Brockmann frühestens Endes des nächsten Jahrzehnts. „Ob wir aber jemals komplett im Straßenverkehr autonom unterwegs sein werden, wage ich zu bezweifeln“, meint er. Der Stadtverkehr, mit vielen Radfahrern und Fußgängern, sei extrem komplex. Autonome Systeme seien dort am ehesten noch bei Bussen und Taxis denkbar, auch weil es hier ein großes Einsparpotenzial gebe.